Gesundheitliche Risikobewertung von Nanomaterialien

Ob von Nanomaterialien oder Produkten, die solche enthalten, gesundheitliche Risiken für Verbraucherinnen und Verbraucher ausgehen können, lässt sich nicht pauschal beantworten. Gegenstand der wissenschaftlichen Risikobewertung des BfRkurz fürBundesinstitut für Risikobewertung sind im Regelfall gezielt hergestellte Nanomaterialien, die beispielsweise in zahlreichen Bedarfsgegenständen eingesetzt werden.
Nanomaterialen weisen im Vergleich zu herkömmlichen Materialien veränderte und/oder zum Teil auch neuartige Eigenschaften und Funktionen auf, die sie für viele Anwendungsbereiche interessant machen, allerdings auch besondere Aufmerksamkeit aus regulatorischer Sicht verdienen. Produktionsmengen und Formenvielfalt steigen stetig an, was eine erhöhte und eventuell auch neuartige Belastung für Verbraucherinnen und Verbraucher bedeuten kann, beispielsweise wenn Nanomaterialien aus Produkten freigesetzt werden.
Definition
Die Europäische Kommission hat im Jahr 2011 erstmals eine Definitionsempfehlung für Nanomaterialien veröffentlicht (2011/696/EU), welche zwischenzeitlich aktualisiert wurde (2022/C 229/01). Der Begriff „Nanomaterial“ umfasst Materialien, die aus Partikeln im festen Zustand bestehen, die entweder eigenständig oder als Bestandteile von Aggregaten oder Agglomeraten auftreten, sofern mindestens 50 % der Anzahl dieser Partikel eine oder mehrere der folgenden Bedingungen erfüllen:
- ein oder mehrere Außenmaße der Partikel liegen im Größenbereich von 1 nmkurz fürNanometer bis 100 nmkurz fürNanometer;
- die Partikel haben eine längliche Form wie z.B. Stab, Faser oder Röhre, wobei zwei Außenmaße kleiner als 1 nmkurz fürNanometer sind und das andere Außenmaß größer als 100 nmkurz fürNanometer ist;
- die Partikel haben eine plättchenartige Form, wobei ein Außenmaß kleiner als 1 nmkurz fürNanometer ist und die anderen Außenmaße größer als 100 nmkurz fürNanometer sind.
Diese aktualisierte Empfehlung soll als Basis für die Definition von Nanomaterialien in verschiedenen Rechtsbereichen dienen. Die Kommission erlaubt dabei allerdings auch, in einzelnen Rechtsbereichen bestimmte Änderungen oder Abweichungen festzulegen, z. B. bestimmte Materialien aus dem Anwendungsbereich spezifischer Rechtsvorschriften oder Bestimmungen auszuklammern, selbst wenn es sich bei diesen um Nanomaterialien im Sinne dieser Empfehlung handelt. Ebenso kann es als notwendig erachtet werden, im Rahmen spezifischer Rechtsvorschriften rechtliche Anforderungen für weitere Materialien auszuarbeiten, die nicht unter die Definition der vorliegenden Empfehlung fallen.
Weitere ausgewählte Information zur Definition bestimmter Begriffe einschließlich der Definition in verschiedenen Rechtsbereichen finden sich in den ausgewählten Fragen und Antworten zu Nanomaterialien.
Fragen und Antworten
Gesundheitsrisiken von Nanomaterialien
Aus Sicht der gesundheitlichen Risikobewertung sind besonders die Produkte zu betrachten, in denen Nanomaterialien in ungebundener Form vorliegen oder aus denen diese leicht freigesetzt werden.
Im Vergleich zu herkömmlichen Materialien weisen Nanomaterialien veränderte und zum Teil auch neuartige Eigenschaften und/oder Funktionen auf. Daraus ergeben sich Verdachtsmomente, die im Rahmen einer Risikobewertung gezielt überprüft werden:
- Aufnahme, Verteilung im Körper und Ausscheidung (Toxikokinetik): Nanomaterialien können auf Grund ihrer geringen Größe einige Körperbarrieren leichter überwinden und eine andere Verteilung im Körper aufweisen als die entsprechenden nicht-nanoskaligen Materialien.
- Reaktionsfreudigkeit: Nanomaterialien haben eine große spezifische Oberfläche (Oberfläche-zu-Volumen-Verhältnis), was häufig mit einer größeren Reaktionsfreudigkeit einhergeht. Dies birgt ein Risiko für entzündliche Reaktionen, die bei längerer Dauer zu Organschädigungen führen können.
- Beständigkeit im Körper (Biopersistenz): Einige Nanomaterialien zeigen eine sehr lange Verweildauer in einzelnen Organen, so dass im Zeitverlauf, die Mengen ansteigen und somit eventuell aufgrund der Reaktionsfähigkeit der Nanopartikel Gesundheitsschäden auftreten können.
Betrachtung der Aufnahmepfade
Bei der Risikobewertung von Nanomaterialen sind aufgrund der breiten Anwendung in unterschiedlichen Produkten verschiedene Aufnahmepfade von Interesse: über die Atemwege (inhalativ), über den Verdauungstrakt (oral) sowie über die Haut (dermal).
Aufnahme über die Atemwege
Das größte Risiko für eine gesundheitliche Beeinträchtigung sehen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler beim Einatmen von Nanomaterialien. Denn dabei kann es zu entzündlichen Vorgängen in der Lunge kommen, die im chronischen Fall zu Organschädigungen und auch zur Tumorentstehung führen können. Ein besonderes Risiko geht von biobeständigen Fasern mit kritischen Abmessungen aus, die asbestähnliche Wirkungen vermitteln und so Tumore in der Lunge und im Bauchfell (Mesotheliome) verursachen können. Ein weiteres Risiko besteht zudem darin, dass beim Einatmen von Nanomaterialien ein kleiner Anteil in weitere Organe gelangen kann. Weiterhin besteht die Möglichkeit, dass (z. B. ausgelöst durch Entzündungsprozesse), auch Botenstoffe (Mediatoren) freigesetzt werden, die dann in anderen Organen adverse Wirkungen vermitteln.
Aufnahme über den Verdauungstrakt
Ob es Risiken durch die Aufnahme von Nanomaterialien über den Magen-Darm-Trakt gibt, ist bislang noch nicht abschließend geklärt. Allerdings wurde auch nach oraler Aufnahme gezeigt, dass ein kleiner Anteil der Partikel in weitere Organe transportiert werden kann. Auch hier besteht die Möglichkeit, dass z. B. über Entzündungsprozesse Botenstoffe (Mediatoren) freigesetzt werden und dann in anderen Organen adverse Wirkungen vermitteln.
Aufnahme über die Haut
Die Aufnahmemenge von Nanomaterialien über die intakte menschliche Haut ist nach derzeitigem Stand des Wissens sehr gering.
Herausforderungen bei der gesundheitlichen Risikobewertung von Nanomaterialien
Bei einer Risikobewertung ist jedes Nanomaterial separat zu prüfen und jede Anwendung individuell zu betrachten. Die grundlegenden Prinzipien einer gesundheitlichen Risikobewertung gelten auch für Nanomaterialien: es müssen mögliche Gesundheitsgefahren (schädliche Wirkungen) und die tatsächliche Belastung () betrachtet werden. Die Risikobewertung von Nanomaterialien birgt jedoch einige besondere Herausforderungen:
- Physikochemische Charakterisierung: Im Rahmen der physikochemischen Charakterisierung sind auf Grund der partikulären Natur viele weitere Parameter relevant. Zudem ist eine Charakterisierung zusätzlich auch in verschiedenen biologisch relevanten Umgebungen durchzuführen, da sich einige physikochemische Eigenschaften umgebungsabhängig ändern können.
- Expositionsdaten: Verlässliche Daten zur Exposition von Verbraucherinnen und Verbrauchern fehlen häufig.
- Prüfrichtlinien und Leitfäden: Die Anpassung von Prüfrichtlinien (englisch: test guidelines, TGs) und Leitfäden (englisch: guidance documents, GDs) der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) zur gesundheitlichen Bewertung von Nanomaterialien ist noch nicht abgeschlossen.
- Bewertungskonzepte und Screeningverfahren: Aufgrund der großen Variantenvielfalt kommen der Entwicklung von neuen Bewertungskonzepten (z.B. Gruppenbildung) und verlässlichen Screening-Verfahren eine besondere Bedeutung zu.
Bewertete Nanomaterialien im verbrauchernahen Bereich
Es wurden Risikobewertungen für eine große Anzahl von Nanomaterialien durchgeführt, die in kosmetischen Mitteln verwendet werden. Eine Übersicht der Bewertungen bietet die Website des Wissenschaftlichen Ausschusses Verbrauchersicherheit (SCCS) der EU-Kommission:
Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSAkurz fürEuropean Food Safety Authority (Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit)) hat Nanomaterialien bewertet, die in Kunstoffen mit Lebensmittelkontakt verwendet werden. Die Bewertungen werden im EFSAkurz fürEuropean Food Safety Authority (Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit)-Journal veröffentlicht. Im Anhang I der entsprechenden Verordnung (EU) Nr. 10/2011 werden die zugelassenen Nanomaterialien gelistet.
Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSAkurz fürEuropean Food Safety Authority (Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit)) hat weiterhin Eisenhydroxid-Adipat-Tartrat (IHAT) entsprechend der Verordnung über neuartige Lebensmittel (EU) 2015/2283 in Nanoform bewertet, welches seit dem Jahr 2022 durch die Europäische Kommission als Nahrungsergänzungsmittel zur Versorgung mit Eisen zugelassen ist (EU 2022/1373).
Es wurden auch Stoffe im Rahmen der übergeordneten EU-Chemikalienverordnung REACH bewertet, deren Nanoformen für Verbraucherprodukte relevant sind.